…traurige Bilanz für das Handwerk…

Eine angehende Tischlerin hat diesen offenen Brief 2023 an ihre Handwerkskammer (HWK) geschickt. Trotz Bemühungen kam es zu keiner adäquaten Veränderung.

Offener Brief

Ich wende mich mit diesem offenen Brief an Sie zum Einen, als Betroffene von Diskriminierung im Handwerk und zum Anderen als Sprachrohr für unzählige missliche und diskriminierende Erfahrungen von Auszubildenden. Ich bin Auszubildende zur Tischlerin im dritten Lehrjahr, hatte zuvor die Möglichkeit ein geisteswissenschaftliches Studium abzuschließen und bin nun eine der Älteren in der Berufsschule.

Nach zweieinhalb Jahren Ausbildung musste ich leider festtstellen, dass es ein Glücksfall zu sein scheint mich nicht tagtäglich auf Grund meines Geschlechts oder meiner Stellung im Betrieb beleidigen lassen zu müssen. Auch wenn ein respektvoller Umgang, bei dem die fachliche Ausbildung im Vordergrund steht, der Mindeststandard sein sollte, ist es doch oft nicht die Realität.
Von einer glücklichen Ausnahme zu reden, wenn man zumindest mit direkten Kolleg*innen nicht jeden Tag mit Machtmissbrauch in Form von Sexismus, sexueller Belästigung oder Rassismus konfrontiert ist, empfinde ich als traurige Bilanz für das Handwerk. Zumal Nachwuchs dringend gebraucht wird, und ein derartiger Umgang nicht gerade gute Werbung ist. Hiermit möchte ich auf Beobachtungen und Erfahrungen aufmerksam machen, Kritik äußern und konkrete Forderungen stellen. Mit Zitaten und gesammelten Situationen möchte ich Ihnen einen Einblick in die Ausbildungswelt geben, wie ich und viele andere junge Menschen sie erleben. Und das kann nur einen Bruchteil darstellen von dem, was den Alltag vieler junger lernender Menschen zur Zeit ausmacht.

Sexismus

Es ist inakzeptabel, dass Aszubildenden auf Grund ihres Geschlechts gewisse handwerkliche Fähigkeiten abgesprochen werden und sie auf weibliche Stereotype reduziert werden.

“Frauen sollten besser in der Küche stehen und zu Hause den Mann versorgen und nicht auf der Bausstelle sein!”
“Das ist zu schwer für sie! Die kann nicht zuhören!”
“Ich kann deinen Tanga durch die Hose sehen..”
“Frauen im Fußball, jetzt auch noch Frauen im Handwerk, ich versteh das alles nicht mehr…”

In den oftmals männlich dominierten Betrieben, ist es eine zusätzliche Belastung tagtäglich sexisitischen Äußerungen und Abwertungen ausgesetzt zu sein. Auch Geschlechtergerechte Sprache scheint vielen ein Fremdwort zu sein, somit müssen weiblich gelesene Auszubildende immer wieder dazu auffordern, auch als Tischlerinnen angesprochen zu werden. Ich frage mich ob ich 2023 wohl einen Gesellinnenbrief erwarten kann oder ob ich die letzten Buchstaben selbst hinzufügen muss.
Als Handwerkskammern und Innungen sollten Veranstaltungen wie das bundesweite Tischler*innen Treffen oder das Bauhandwerker*innen Treffen gefördert und beworben werden, solange es noch so dringend gebraucht wird! Hierbei handelt es sich um Vernetzungstreffen von geschlechtlichen Minderheiten im Handwerk die noch immer, auch nach 42 Jahren enormen Zulauf erfahren, aber längst noch nicht
alle erreichen. Hier tauschen sich kompentente Handwerkerinnen* fachlich aus, von der Auszubildenden* bis zur Meisterin. Vor allem aber sind das Räume und Schutzräume, in denen hunderte Personen zusammenkommen, die tagtäglich Diskriminierung und Missbrauch erfahren oder erfahren haben. Die Teilnehmerinnen* kommen aus ganz Deutschland, aus den unterschiedlichsten beruflichen Bedingungen und alle, wirklich alle können bestätigen dass es noch
immer enorm diskriminierende Strukturen im Handwerk gibt. Hiermit möchte ich ein leicht einleuchtendes Beispiel geben, damit auch Sie als Handwerkskammern und Verantwortliche einsehen, dass es Bedarf gibt diese Zustände zu verändern und die Augen nicht davor zu verschließen, dass es sie gibt! […]
Auch andere Erfahrungen von Auszubildenden zeigen, dass das Bewusstsein für diskriminierende Strukturen im Handwerk längst noch unerkundestes Gebiet für Viele ist. Auf unterschiedlichste Weise wird Macht in Betriebsstrukturen zu Leiden der Auszubildenden ausgenutzt.

Machtmissbrauch

Auszubildende aufzufordern sich morgens vor dem Meister zu verbeugen, ihnen “aus Spaß” Schleifpapier durch ihr Gesicht ziehen oder sie kopfüber in die Mülltone zu stecken, scheint in einigen Betrieben Standard zu sein oder unter Abhärtungsrituale zu fallen. Faktisch fallen diese Erfahrung aber unter Körperverletzung, Missbrauch und Mobbing. Höchst bedenkliche Dynamiken entwickeln sich, wenn die Auszubildenden aus Angst vor weiterer Schikane sich nicht trauen ihre Erfahrungen zu teilen. Sätze wie “Kommt das raus, wenn ich Namen nenne?” oder ”Erzählen Sie das meinem Chef, wenn ich das sage?”, sind in seltenen sicheren Räumen, wie Lehrgängen oder Gesprächsrunden in der Berufschule oft gefallen. Problematisch ist, dass diese jungen lernenden Menschen kaum niederschwellige Angebote haben, um sich Hilfe zu holen, sondern noch eher das Gefühl haben das Umfeld, in dem sie sich bewegen schützt die Betriebe. Familiäre Strukturen innerhablb kleiner handwerklicher Betriebe erschweren außerdem das Organisieren innerhalb des Betriebs, sowie die Innitiative zu ergreifen sich Hilfe zu holen. Dass bei
solchen Vorfällen die Angst um das Weitererzählen im Vordergrund steht, zeigt wie schwach und diskriminierende Strukturen unterstützdend, das Ausbildungsnetz für junge Leute, dessen Alter in der Regel zwischen 17 und 19 liegt, ist. Nach derartigen Vorfällen, in denen Auszubildende Missbrauch erlebt haben, mehr oder minder allein dafür verantwortlich zu sein die Situation, als nicht mal volljährige Person komplett selbstständig in die Hand zu nehmen und sich gegebenenfalls einen neuen Betrieb zu suchen, empfinde ich als fahrlässig, gerade den Jugendlichen gegenüber. Manche stehen die drei Jahre Ausbildung mit vielen emotionalen Wunden vielleicht durch, haben danach vergessen, dass sie eigentlich mal einen kreativen, vielfältigen Beruf lernen wollten und wenden sich dann ab, da sie die Freude am Beruf, wegen diskrimninierendem und demütigendem Umgang verloren haben. Andere warten möglicherweise nach derartiger Erfahrungen darauf, endlich in einer patriarchalen
Betriebesstruktur aufzusteigen, um selbst die erlerneten, bestätigten Verhaltensweisen zu reproduzieren.

Rassismus

Ich rufe hiermit dazu auf, sich auch in den Berufsschulen aktiv dem Thema Diskriminierung anzunehmen. Es reicht nicht in Form von Schildern wie “Schule gegen Rassismus” eine antidiskriminierende Haltung nach außen hin vorzutäuschen, während in der Schule jede Stunde rassistische Äußerungen und Handlungen passieren. In manchen Betrieben scheint es selbstverständlich zu sein das N-Wort im alltäglichen Srachgebrauch zu haben. Bis vor Kurzem waren in meiner Berufsschule noch fast menschengroße rassistische Karikaturen an den Wänden zu finden. Lehrkräfte benutzten Aussagen wie “Das macht die Putze dann weg” oder “wo ist denn der Marokkaner heute? Verkauft der Gras auf dem Schulhof?”(Berufsschulunterricht […])
Eine Schule mit solchen Vorfällen, auf der bestimmt weit mehr als 60% der Schüler*innen eine Migrationsgeschichte haben, darf sich nicht mit einem Schild an der Fassade zurücklehnen, sondern muss sich selbst reflektieren und aktiv und präventive Arbeit leisten, um diskriminierenden Strukturen entgegen zu wirken!

Mit den Lehrkräften verbringen die Auszubildenden mindestens 8 bis 12 Stunden pro Woche. In einem Klassenklima, in dem ebenfalls unreflektiert stereotype Bilder, was Herkunft oder Geschlecht angeht, reproduziert und gefestigt werden . Hier müssen junge, lernende Menschen ihren Platz in der Welt der Arbeit finden und sollten Rückhalt und Unterstüzung erfahren und nicht in sexistischen und rassistischen
Denkmustern bestätigt werden.

Ich fordere Sie als tragende Institutionen dazu auf, Ihre Verantwortung zu erkennen und aktiv dagegen vorzugehen diskriminierende Strukturen aufzubrechen und diskriminierende Bilder nicht zu reproduzieren. Meine Forderung ist Personal in Berufsschulen und Handwerkskammer, sowie Innungen zu schulen und weiterzubilden, um ein Bewusstsein für antidiskriminierendes Verhalten zu schaffen
[…].


Ich fordere Anlaufstellen zu schaffen für junge Auszubildende, die Mobbing, Missbrauch und Diskiminierung im Betrieb erfahren. Eine Anlaufstelle zu sein, indem man den Auszubildenden nicht nur ein Netz an Interessenvertretungen für Betreibe darstellt und transparent zu sein, was in den Betrieben vorfällt. Damit meine ich Auszubildende nicht immer wieder in Betreibe zu schicken, wo schon mehrfach
bekannt ist, dass dort Erfahrungen von Mobbing, Missbrauch und Diskriminierung an der Tagesordnung sind. Konsequenzen für Betriebe könnten sein, dass sie keine Auszubildenden mehr einstellen dürfen, damit würden auch die besagten jungen Menschen vor 3 Jahren Demütigung verschont bleiben. Eine derartige Konsequenz ist zwar keine Lösung für die Urache aber wäre immerhin ein Entgegenkommen.

Arbeiten Sie daran Ihre Vorstände diverser zu besetzten, damit sich auch nicht weiße, nicht männliche Menschen im Handwerk vertreten sehen! Um weitere und mehr junge Menschen für das Handwerk zu begeistern, braucht es dringen Veränderung und mehr Engagement und mehr Mut umzustrukturieren und offen zu sein.