…sie fänden Frauen hätten auf der Baustelle nichts verloren…

Da ich Abi in [Süddeutschland] gemacht habe und dort (und auch Deutschlandweit) der O-Ton immer war „wenn ihr später mal Wände anmalt oder Häuser baut habt ihr nichts erreicht in eurem Leben“ bin ich nach dem Abi erst mal in ein sehr unerfolgreiches Informatikstudium gestartet, welches ich dann sehr schnell wieder an den Nagel gehängt habe.
Der nächste September kam und zum ersten Mal hörte ich dass ich auch eine duale Ausbildung in 2 anstelle 3 Jahren machen kann mit meinem Abi und habe mich umgeschaut. Weil ich dachte: „Naja also 2 Jahre kann man ja eigentlich erst mal alles machen.“
 
Zuerst machte ich ein Praktikum bei einer Gartenlandschaftsmeisterin, die mich mit Handkuss genommen hätte, weil sie sagt, sie bilde am liebsten Frauen aus.
„Wenn ich meinen Jungs sage, sie sollen eine Palette mit Pflanzen abladen, dann machen die das. Die Mädels genauso, aber die Mädels muss ich dann nicht auch darauf aufmerksam machen, dass sie die Plastikverpackungen auch wegschmeißen und die Palette zur Seite räumen müssen. Den Jungs schon.“
 
Leider zeigte sich bei mir eine Allergie auf Gräser und so konnte ich das Angebot nicht annehmen und landete in einem 4 Mann Betrieb mitten [in Süddeutschland] und startete am 1.9.2015 in meine Ausbildung zur Zimmerin im zweiten Lehrjahr.
Die ersten Wochen waren sehr anstrengend, aber die coole Kluft und der ständige Geruch von Holz haben es geschafft, dass ich in kürzester Zeit sehr große Freude am Handwerk gefunden habe. Dank der indoktrinierten Vorurteile hätte ich vorher nie gedacht, dass ich mich so in den Beruf und die Tätigkeiten verlieben würde.
 
Meine Lehrgesellen haben mich relativ vorurteilsfrei aufgenommen, mit Sätzen wie: „Du musst absolut nicht alles tragen können, wenn dir was zu schwer ist, sag Bescheid. Aber ein Bund Dachlatten ist so das Minimum was immer gehen muss.“ Und das ging auch. Man gewöhnt sich ja an alles.
 
Gleichzeitig, war einer der drei Altgesellen aber auf eine andere Art sexistisch – wo mein Junggesellenkollege, der gerade mit der Ausbildung fertig war als ich begann, bei einem Fehler angebrüllt und gepackt und geschüttelt wurde, bekam ich nicht mal einen erhobenen Zeigefinger. Zurecht trennte er sich zeitnah von seiner Lehrfirma!
Mir flog nie was hinterher, ich wurde nicht angebrüllt oder irgendwie angegangen.
Ob das jetzt gut ist, dass sich die alten Herren aus Sexismus Gründen bei mir zurückhielten – weil man mit Frauen eben nicht so umgeht – sei nun mal dahin gestellt, aber es kam mir natürlich irgendwie zu Gute.
Besser wäre aber gewesen (natürlich) wenn dieser eine Geselle auch mit dem (männlichen) Kollegen nicht so umgegangen wäre.
 
Größere Hindernisse hatte ich mit meinem Ausbildungschef. Dieser holte mich bei Regen oft von den Baustellen ab mit den Worten „das könne man einem Mädchen ja wohl nicht zumuten“ und setzte mich ins Büro um Abrechnungen von Baustellen und Lohnabrechnungen zu schreiben. Das passierte leider recht oft, dass ich also im Büro saß und Überweisungsträger ausfüllte, oder Fenster putzte oder die Autos.
 
Die Ausbildung habe ich 2017 erfolgreich bestanden und bin Ende des Jahres nach Norddeutschland umgezogen. (Zuerste wollte mich da Einer auf unter 13 Euro anstellen…)
 
Dort fing ich in einer Dachdeckerei/Zimmerei als Junggesellin an und traf auf ein sehr skeptisches Team, die mir Nichts zutrauten. Mit Kollegen die auch noch 1,5 Jahre später den Raum verließen welchen ich betrat und nicht mit mir sprachen und mich nicht auf Baustellen mitnehmen wollten – und wenn sie mussten, mich spüren ließen, dass sie nicht fanden ich hätte auf dem Bau überhaupt irgendwas verloren.
Als ich dann meine eigenen Baustellen übernahm, kam es immer häufiger zu Situationen das Bauherren meine männlichen Kollegen mir vorzogen, mich nicht ansahen auch wenn ihnen gesagt wurde ich wäre die Vorarbeiterin und Sachen sagten wie „da würden sie lieber nochmal mit meinem Chef/ oder einem Mann drüber sprechen“. Menschen die meine Expertise nicht anerkannten und regelrecht absprachen.
Sätze wie: „Ach und du darfst heute mal mit den Jungs mitarbeiten“ waren keine Seltenheit und auch andere gut gemeinte Kommentare wie: „Ist das nicht zu schwer für dich, so als Frau?“ oder „Frauen sieht man ja echt selten auf der Baustelle und das geht?“
 
Ich begegnete Bauleitern, die meine fachliche Meinung ignorierten und wenn ich auf diese bestand fragten, „ob ich nun so zickig wäre weil ich meine Tage hätte“ weil ich mich nicht bereit erklärte an ungesicherten Dachkanten ‚mal eben‘ zu arbeiten oder ich eben keine Baumängel einbauen wollte.
 
Ich begegnete anderen Gewerken auf Großbaustellen die mir grade und ungefragt ins Gesicht sagten, sie fänden Frauen hätten auf der Baustelle nichts verloren. Oder das völlige Gegenteil, Kommentare an meine Kollegen „Boah bei Zimmerfrauen denkt man ja eigentlich an so richtig eklige Mannsweiber, aber ihr habt da echt ein scharfes Geschoss dabei, da kann man sich ja gar nicht konzentrieren“ – während ich in Hörweite stand.

Chefs die mir sagten, ich solle im Sommer nicht so kurze Tops tragen, weil „meine Jungs sich dann ja gar nicht mehr konzentrieren könnten“.

Und natürlich der Klassiker, der wie ein Mückenstich begann und irgendwann zum Ausgewachsenen Schmerz wurde, mit der Frage, wie mein Beruf den jetzt eigentlich heißen würde, und sich mit der Antwort „Zimmerin“ nicht zufrieden geben wollten.

„Zimmermädchen höhö, ne das sind die im Hotel oder?“ „Zimmerfrau, ne Zimmermannsfrau“ – diese Aussagen waren halt auch nur die ersten 200 mal lustig, danach wurde es nervig und die darauffolgenden 500 mal war die Verwunderung groß wieso ich abweisend und kurzangebunden reagierte. Ich kann es nicht mehr hören und ich weiß dass es lustig oder tatsächlich interessiert gemeint ist, aber ich hab echt die Schnauze voll.

Zur Vollständigkeit: Der Beruf heißt nicht Zimmermann, es ist der Zimmerer und die Zimmerin und das schon seit einer ganzen Weile. Selbst auf dem Meisterbrief meines Großvaters von 1947 steht schon „Meistertitel im Zimmererhandwerk“.

Und trotzdem blieb ich dabei, weil mir die Baustelle, die harte Arbeit und vor allem das Holz echt ans Herz gewachsen ist. Ich hatte auch gute Kollegen, mit denen das typische Baustellengefrotzel immer auf Augenhöhe blieb und die auch begriffen, dass ich das alles schon kann und ich schon fragen würde sollte dem nicht so sein.
 
Und trotzdem wollte ich morgens irgendwann nicht mehr aufstehen, trotz dem dicken Fell dass mir gewachsen war, hat mich das Negative und der Sexismus zermürbt. Das Wissen, dass ich nicht nur für mich mit geradem Rücken stehen muss, sondern auch für jede nachfolgende Frau den Weg ebnen muss. Dass ich nicht zu oft sagen darf „das ist mir zu schwer“ weil das die vorherrschende Meinung über Frauen im Handwerk nur noch untermauern würde.
Dass ich trotz Rückenschmerzen, Erkältungen und Endometriose lieber doch zur Arbeit ging. Einen entzündeten Ellenbogen ignorierte um nicht das Bild zu vermitteln „Frauen sind eben nicht so belastbar“.
 
Ich hab dann 2021 meinen Meister angefangen und diesen 2022 auch erfolgreich Bestanden um mehr Möglichkeiten zu haben. Ich bin mit diesem Abschluss zu einer Stelle gekommen, in welcher ich Auszubildenden und Gesell*innen im Handwerk mit Rat und Tat zur Seite stehen kann.
 
Leider nicht mehr im schaffenden Handwerk, welches ich wirklich sehr vermisse, aber in einer Stelle in welcher ich wirklich aufgehoben bin und nicht jeden Tag gegen Vorurteile ankämpfen muss. Ich habe ein sehr offenes, sehr wertschätzendes Team um mich, dass mich supportet und mir zuhört und meine Expertise schätzt und das tut mir sehr sehr gut und heilt viel von dem was auf dem Bau auf der Strecke bleiben musste.
 
Dennoch weiß ich aber schon jetzt, dass ich irgendwann wieder zurück möchte. Ich möchte abends wieder sehen, was ich und das Team geschafft haben. Möchte langlebiges Erschaffen, dass Menschen noch über Jahre begleitet und glücklich macht.
 
Trotz allem liebe ich das Handwerk und hoffe wirklich, dass sich die Vorurteile irgendwann auflösen.