Es sind Herbstferien. Ich mache ein zweiwöchiges Praktikum in einer Bautischlerei. Dahin brauche ich eine halbe Stunde mit dem Auto. Von morgens um 7 bis abends um 5. 5 Tage die Woche. Gleich am ersten Tag betont der Kollege, wie lustig es sei, dass er die kleinste Leuchte in einer deutschen Firma mit zwei Angestellten Polen sei. Das müsse man sich mal vorstellen. Und das als Bruder des Chefs. Wir fahren zusammen Bauschutt auf die Deponie. Er erzählt mir von seiner Zeit im Militär, dass es nur wenig Männer gibt, die von sich behaupten können, wie Rambo mit dem MG durch den Wald gerannt zu sein. Erzählt von seinen Söhnen, die er auf die Realschule geschickt hat, trotz Gymnasialempfehlung. Nicht dass die Gymnasiasten die Jungs versauen. Als er sagen will, dass ihre Realschule auch keine Gesamtschule ist, nennt er die Schule „reinr*ssig“.
Ich traue mich nicht was zu sagen. Ob ich im zweiten Jahr einen Lehrplatz bekomme hängt davon ab, ob potentielle Kollegen mich mögen.
Ein paar Stunden später stehe ich mit ihm, meinem Chef und einem anderen Kollegen an der Straße, wie warten auf den Zementwagen, in der Richtung in die wir schauen biegt eine weiblich gelesene Person mit blauen Haaren in die Straße. Sie sieht uns, setzt Kopfhörer auf, senkt den Blick und geht schneller.
Ich will rufen, dass ich nicht zu meinen Kollegen gehöre, will mich physisch distanzieren, aber bin wie angewurzelt.
Meine Kollegen tauschen vielsagende Blicke aus. Als sie an und vorbeigegangen ist fangen sie noch in Hörweite an ihren Anblick von vorne mit dem von hinten zu vergleichen und warum oder warum nicht man(n) sie vögelt. Später in der Mittagspause erzählt Chef von der Nachbarin eines Kunden. „Sie war ein paar Jahre auf Tinder. Da musst du aufpassen, dass sie dich nicht hinter die nächste Ecke zieht. Und unter ihrem T-Shirt hätte sie auch nichts an.“ „Ne, so Eine würde ich nicht f*cken“ die Anderen nicken schweigend.
Ich komme abends nach Hause, es ist wieder dunkel. Duschen. Meine Mitbewohnis haben mir was zu essen aufgehoben. Ich fühle mich schlecht. Ich bin wie mein Vater. Heimkommen. Essen. Über die Arbeit beschweren. Und die Rückenschmerzen. Zum Glück muss ich keine Binder mehr tragen. Ich erzähle nur die Hälfte von meinem Tag. Will nicht reproduzieren und jammern.
Auf Instagram scrolle und scrolle ich, feministische Posts über den Diskurs zu NB/Enby und dass die Black community ihn schon vor nichtbinären Menschen nutzte und über den Hintergrund des Wortes „mauscheln“. Ich verliere manchmal die Hoffnung, weil die Aufgabe von gesamtgesellschaftlicher Awareness nicht machbar scheint.
Ich sitze mit meinen Freund*innen beim Essen. Sie alle studieren. Eine Person fängt an über ihren Abitur NC zu jammern – 2,4. Plötzlich vergleichen alle ihre Abinoten. An einem anderen Abend ist eine halbe Stunde Thema, wie ein Prof. Es nicht hinkriegt in korrekter Form zu gendern. Ich finde ihre Themen wichtig. Aber ich fühle mich nicht Teil ihrer Welt. Manchmal hab ich Angst meine Erfahrungen auf der Arbeit mit ihnen zu teilen, weil mir ihr Mitleid nichts bringt und ich mich fühle als würde ich ihre Erfahrungen mit nicht Awareness und Diskriminierung relativieren, wenn ich von dem Umgangston auf meiner Arbeit rede. Die Diskurse über Diskriminierung und Intersektionalität in meinen akademischen Freund*innenkreisen sind wichtig. Aber sie sind exklusiv. Ich habe mir die Sprache die es braucht um Zugang zu diesen Bubbles zu bekommen beigebracht, als ich selbst im Gymnasium war und durch meine Freund*innen die fast ausschließlich Studierende sind. Mittlerweile fühle ich mich zur Hälfte als ein Teil ihrer Welt, aber ich weiß nicht inwiefern sie Teil „meiner Welt“ sind.