…Nachdem dieses Gespräch endlich ein Ende fand, habe ich das erste Mal in meinem Leben hyperventiliert…

Von dem Konzept der „Solidarischen Landwirtschaft“ hätte ich mir wohl im konkreten Einzelfall mehr erhoffen wollen.

Ich hab mir nicht allzu viele Gedanken darüber gemacht, dass es hier noch „den Chef“ gibt. Dazu ein alter weißer Mann. Diese alteingesessenen patriarchalen Hierarchiestrukturen stoßen mir erst seit ein paar Monaten sauer auf. Und das fühlt sich auch immer noch so konträr an, da wir im gärtnerischen Alltag mit einem kompletten FLINTA* Team arbeiten und es immer wieder total empowernde Momente gibt.

Aber die Menschen, die Maschinen- und Traktorarbeiten machen, die Bodenbearbeitung, Düngung und die großen Ernten durchführen und planen sind dann doch wieder männlich sozialisierte Eigenbrötler, die ihren Arbeitsalltag vor mir verschlossen halten und mir die Möglichkeit einer voll umfänglichen Ausbildung versperren.

Er ist der einzige, der einen unumfänglichen Überblick über die Düngemaßnahmen hat, das vermerkt er wohl in einem Notizbuch, was wohl, wie ich vor kurzem von einer Kollegin erfahren habe, nicht abfotografiert, sondern wenn dann nur auswendig gelernt werden dürfen. Und dann bekomme ich z.B. einmal die Möglichkeit eine Zaunreparatur durchzuführen, mit dem Vorwissen, dass ich auf einem anderen Hof erlangt habe und bekomme nach Feierabend eine Messangernachricht, dass die Litzen aber nur im Winter nachgespannt werden dürften. Da platzt mir manchmal der Hals.

Und wenn Bewerber*innen zu uns kommen, dann verbringen die weiblich gelesenen den Tag im Gärtner*innenteam und die männlich gelesen werden meist vorher erst noch von besagtem Traktoristen auf den Zahn gefühlt.

Dann gibt es noch die Sache mit dem Markt. Komischerweise sind wir ein Marktteam komplett aus FLINTA*s. Manchmal werden wir zu online Zoom Treffen eingeladen, wo uns die „Frau vom Chef“ Maßstäbe für Freundlichkeit im Kund*innenkontakt herunterbetet. Und wenn ich manchmal im Arbeitsalltag von ungehörigen Situationen auf dem Markt erzähle, dann macht auch meine Ausbilderin mir Vorschläge, wie ich es positiv und freundlich hätte von mir abwenden können. Der (männlich sozialisierte) FÖJler hat es übrigens nicht öfter als dreimal als Marktverkäufer ausgehalten. Das hat mir zu denken gegeben. Das geschäftige Treiben macht zwar schon Spaß, aber auf der anderen Seite merke ich auch, dass weiblich sozialisierte Menschen, wie ich, wohl schon darauf getrimmt wurden unumgänglich freundlich zu sein und sich auch mal blöde herablassende Kommentare von fremden Menschen gefallen zu lassen.

Diesen Sommer hatten wir eine Aushilfskraft. Er hatte eigentlich nicht viel mit dem Team zu tun. War den ganzen Tag mit dem Freischneider unterwegs und für sich. Und doch hatte er so eine unangenehme „verlotterte alter Mann“- Art und schwierige schwurbelige Aussagen getroffen. Und nach und nach hörte ich von mehr und mehr übergriffigen Vorfällen im Kolleginnenkreis. Von penetranten Anrufen, Kommentaren übers Aussehen und ungefragten Einladungen und was weiß ich. Ich wollte ihnen glauben ohne zu viel nachzufragen und im schlimmsten Fall zu retraumatisieren. Unsere Ausbilderin verwies auf den Chef und meinte, dass es uncool ist über Leute hinter deren Rücken zu sprechen. Aber Hallo hier ging es schließlich um sensible Sachen für die unser ü70 Chef wahrscheinlich wenig übrig haben würde. Ich selbst habe nichts direkt Übergriffiges erfahren müssen, aber allein davon zu hören machte den Arbeitsplatz um einiges unsicherer und als ich zum Beispiel abends nochmal da war, um etwas zurück zubringen, hab ich es regelrecht mit der Angst zu tun bekommen als ich bemerkt haben, dass er immer noch vor Ort ist.

Alle paar Monate haben wir so Supervisions-Gespräche im Team. Was ja per sé sehr löblich sein könnte. Nur leider werden sie von einem (ein weiterer alter weißer) Freund vom Chef „moderiert“. Naja moderiert ist falsch zu sagen. Die letzten Male war er die Person, die die Diskussion angefeuert hat und die Standpunkte anderer nicht auf sich sitzen lassen wollte. Total Team unbezogen, muss hier gegen alte Männer und die Chefetage diskutiert werden, die politisch inkorrekte Begriffe nutzen und teilweise retraumatisierende Sachen sagen, die ich nicht so stehen lassen will.

Vielleicht kein Wunder, dass ich hier nicht offen über meine Liebesbeziehung zu anderen FLINTA* spreche und auch nach meinem zweiten inneren Coming-Out Kolleg*innen nicht darauf hinweise, dass sie bitte keine Pronomen mehr für mich verwenden mögen.

Und dann kommen noch die allgemeinen arbeitsrechtlichen Sachen oben drauf.
Der Personalschlüssel spricht wahrscheinlich schon für sich: 5 Azubis (Vollzeit) nach Mindestausbildungsvergütung beschäftigt, 1 Gärtnerin (Vollzeit), 1 Traktorist (Vollzeit); 1 Meisterin (Teilzeit) und einige Aushilfen in Teilzeit. Da bleibt nicht so viel Zeit, was gezeigt zu bekommen vor allem in der Hochsaison und nicht selten fühle ich mich wie eine billige Arbeitskraft. Was ich ja auch bin und was für mich okay wäre, wenn ich dafür Bildung, Wertschätzung und Eingeständnis entgegengebracht bekäme. Als ich mich von der Berufsschule befreien ließ, die einfach sozial sehr anstrengend und zehrend für mich war und mich gefühlt einige Jahre in düstere Teeniejahre zurückwarf, wollte mir mein Betrieb nicht so viele Lerntage gewährleisten, wie ich Schultage gehabt hätte. Das würde nicht von Anfang an kommuniziert sondern endete drei Monate später in einer heftigen Auseinandersetzung.

Dazu gibt es leider keine Niederschriften im Azubirecht. Trotzdem fühlte sich das unfair an und ich kommunizierte meiner Ausbilderin, dass es sich für mich anfühlte eine billige Arbeitskraft zu sein, wenn meine Lernzeit und mein Lernerfolg nicht wertgeschätzt werden. Das wurde an meinen Chef herangetreten, der mich daraufhin erneut in einem unangekündigten Gespräch unter vier Augen verwickelte hinter veschlossener Tür. Mir wurde mangelnde Teamfähigkeit und Sozialkompetenz vorgeworfen, Aussagen, dass ich übersprunghaft Sachen beurteile, aus denen mitschwingt, ob ich vielleicht psychisch nicht ganz gesund sei. Nach vielen wütenden Tränen runterschlucken. Fing ich doch irgendwann an vor ihm zu weinen. Nachdem dieses Gespräch endlich ein Ende fand, habe ich das erste Mal in meinem Leben hyperventiliert. Ich war nach drei Tagen immer noch zittrig und mental labil. Und bekomme danach einen Anbluff wegen einer  Krankschreibung, die mir mein Hausarzt rückwirkend ausstellte. Ohne die mentale Hilfe und den Austausch meiner Mitazubi, meiner Beziehungsperson und einigen Mitbewohner*innen weiß ich nicht was mit mir passiert wäre. Wie ich wieder in die Realität zurück geholt worden wäre, von den Aussagen, die ein Mensch, der nie direkt mit mir im Team arbeitet, sich herausnimmt über meine Teamkompetenz zu treffen.

Als Azubis haben wir keinen Welpenschutz. Auch wir müssen mit Arbeitszeitkonto arbeiten. Sprich bis zu 50h in der Woche im Sommer.
Arbeitskleidung wird uns eher nicht gestellt vor allem keine Sicherheitsschuhe.
Urlaub können wir eigentlich nur im Januar und Februar nehmen und wenn du Glück hast auch eine Woche im Spätsommer vor den großen Ernten (was ja schon auch Saison und Branchen abhängig ist, aber auch dem engen Personalschlüssel geschuldet…). Von den Feiertagen im Frühjahr und Mai ganz zu schweigen.
Und selbst für ein „richtiges“/vorschriftsmäßiges Berichtsheft musste ich betteln und mir anhören,dass es aber ganz schön teuer sei.

In der Solawivollversammlung wurden wohl schon ein zwei mal von Mitgliedern auf die geringen Personalkosten hingewiesen und es haben sich Ambitionen gebildet eine Bieterunde einzuführen, aber irgendwie wird das von der „Chefetage“ völlig abgeblockt.

Das klingt jetzt vielleicht alles mehr oder weniger banal,aber es gibt schon einfach öfter Momente, wo in mir alles hochkocht und ich mega zittrig werde und einfach auch mehrere Tage total echauffiert bin. Das strengt an auf Dauer. Und es ist ja nicht so als wären 40h nicht schon genug auslastend.
Gleichzeitig kann ich mir denken, von dem was ich in der Berufsschule so von den andern Azubis gehört habe, dass es auf anderen Betrieben noch ganz anders abläuft.
Aber ich will meine Erfahrungen nicht relativieren, sondern sie anhand dessen betrachten, wie sie mir als Individuum zusetzten, mag das auch eine privilegierte Sicht sein. Aber was anderes als meine Perspektive kann ich wohl auch nicht beschreiben.

Und fachlich fühlt es sich gut und korrekt an, nach Grundsätzen nach denen ich vielleicht auch später arbeiten möchte. Es tut mir gut draußen an der Luft zu arbeiten und meinen Körper zu spüren. Die Geschäfitgkeit auf dem Markt gefällt mir und mit meiner Ausbilderin komme ich menschlich gut aus.

Ich bin sehr dankbar über meine Mitazubis und auch die Meisterin, die drei Tage mit uns arbeitet. Ihnen gegenüber kann ich mich öffnen und sie nehmen sich dem an, stützen mich und geben mir Support. Wie zum Beispiel auch beim Azubistammtisch, den wir letzte Woche das erste Mal veranstaltet haben und das nun regelmäßig machen wollen.

Diese Menschen sind Gold wert, aber die extra emotionale Arbeit auch eigentlich nicht deren Aufgabe. Sie haben auch ihre Kämpfe zu tragen.