…fasste mir zwischen die Beine…

Das wohl für mich schlimmste Erlebnis war aber nicht die Lehrzeit, sondern dieses eine Schülerpraktikum mit 14-15 Jahren in einem anderen Betrieb im Landkreis, dass ich vor meiner Lehrzeit absolviert habe. Wir, das heißt der Geselle, bei dem ich für die Woche eingeteilt war und ich, hatten den Auftrag Wohnungen auf einem Firmengelände in [einem kleinen Ort] zu streichen. Als wir alleine in der Wohnung waren, drückte er mich an die Wand küsste mich und fasste mir zwischen die Beine, ich konnte mich nicht wehren. Glücklicherweise kam im fast selben Augenblick ein anderer Kollege und er ließ von mir ab. Meinen Praktikumsbericht, den ich eigentlich in der Schule vorlegen musste, habe ich nie abgeholt. Auch bin ich nicht zur Polizei oder habe mich jemandem anvertraut. Ich habe dieses Erlebnis so lange verdrängt bis ich glaubte ich hätte es nie wirklich erlebt. Jahre später und einige viele Therapiestunde später konnte ich das erlebte verarbeiten und nun darüber sprechen. 

Ich habe meine Ausbildung zur Maler- und Lackiererin nach langen Diskussionen mit meinen Eltern (die wollten nicht, dass ich so einen körperlich schweren Beruf erlerne) […] endlich anfangen dürfen. Der Betrieb war fußläufig erreichbar, ich wollte den Beruf unbedingt erlernen, mein Seniorchef war [Mitglied] der Innung also eigentlich beste Voraussetzungen für eine tolle Lehrzeit. Über die 3 Ausbildungsjahre hinweg verging keine Woche in der ich nicht auf der Baustelle angemacht oder blöd von der Seite angesprochen wurde. Zum Glück meistens nicht von meinen Kollegen. Wenn wir im Sommer Fassaden gestrichen oder verputzt haben, fiel Minimum einmal am Tag der Spruch: „Los, Titten raus, es ist Sommer“ einmal hat mein Seniorchef, den alle Siezen mussten, mich mit dem Spruch „Hey Süße, komm mal runter“ zu sich in die Werkstatt gerufen. Als ich mit unserem (damals alkoholkranken) Altgesellen in der Werkstatt Türen lackieren musste hat er mir während ich mich gebückt habe auf den Hintern geschlagen. Ich habe während meiner Ausbildungszeit meinen Führerschein gemacht, an dem Tag hätte ich Fahrstunde gehabt und es war mit dem Chef vereinbart das ich von einer großen Baustelle [in einer Großstadt] (Fahrzeit ca. 1- 1,5 Std) früher mit ihm nach Hause fahre um die Fahrstunde (natürlich nach Feierabend) wahrnehmen zu können. An dem Tag habe ich einen Fassadenteil in einem dunklen Farbton gestrichen, dunkle Farbtöne werden schnell streifig und sind anspruchsvoller zu streichen, da es mein erstes Mal war sah es natürlich demensprechend scheiße aus. Wutentbrannt über meine „beschissene“ Arbeit hat mein Chef in meinem Rucksack gekramt, mein Arbeitszeiterfassungsgerät rausgeholt, es ausgeschalten und mir vor die Füße geworfen mit dem Spruch: „Das machst du jetzt nochmal richtig, und zwar umsonst, damit du mal weißt, wie das ist“ die Fahrstunde war natürlich dahin. 

Leider hatte ich in meiner Lehrzeit auch zwei Arbeitsunfälle bei dem Ersten sind mir beim Versuch einen Stapel Trockenbauplatten zu halten 250 kg Trockenbauplatten aufs Knie gefallen, großes Trara auf der Baustelle mit Feuerwehr, Polizei, Notarzt usw. inklusive eines mehrtägigen Aufenthaltes in einer Klinik sowie einer fast 6-wöchigen Krankmeldung. Nachdem ich wieder gesund in den Betrieb zurückgekommen war, stellte ich fest das mein Werkzeug (jeder hatte seinen Eimer mit eigenem Werkzeug) verschwunden war, auf die Nachfrage bei meinem Chef, ob er zufällig wüsste, wo dieses ist, hat er nur gesagt: „Selbst schuld, wenn dein Werkzeug weg ist, wenn du nie da bist“ 

Bei meinem zweiten Arbeitsunfall bin ich in einen Kellerschacht abgestürzt, weil ein Azubi Kollege das Gitter versehentlich nicht richtig wieder eingelegt hat. Das Resultat waren eine Unterschenkelprellung und eine Platzwunder am Ellenbogen. Als mein Geselle ihn über das Handy informiert hat, konnte ich trotz einem Abstand von 2 Metern jedes Wort verstehen, dass er in das Telefon gebrüllt hat: „Die blöde Kuh, kann die nicht aufpassen, ist die dämlich, ja Kruzifix des gibt’s ja gar nicht“ 

Zum Ende des dritten Lehrjahres habe ich angefangen einen Kalender an die Wand zu malen und jeden Tag bis zur Gesellenprüfung abzuhaken. Ich wollte die Ausbildung nicht hinwerfen, schließlich hatte ich viel Zeit und Lebensenergie reingesteckt. Es waren genau 72 Tage. 

Ich hatte meine Zwischenprüfung mit der Note 4 abgeschlossen, dementsprechend niedrig waren meine Erwartungen an das Ergebnis der Gesellenprüfung, ich wollte einfach nur bestehen. Da mein Chef wie schon erwähnt [Mitglied] der Innung war, durfte er sich die Arbeiten vorab anschauen. Dass ich auf keinen Fall weiter in dem Betrieb arbeiten wollte, war schnell klar und ich wollte eine weiterführende Schule besuchen. Die begann aber schon im August also vor dem offiziellen Ausbildungsende und somit brauchte ich einen Auflösungsvertrag. Dieses Gespräch war Rückblicken eine einzige Schikane. Nicht nur das ich mit meinen unzähligen angehäuften Überstunden meine damalige Arbeitskleidung (Mietwäsche) rauskaufen musste, ich wurde auch noch angeschrien, dass ich eine Schande für den Betrieb wäre und was für eine beschissene Leistung ich in der Gesellenprüfung abgeliefert hatte. „Gnädigerweise“ wurde ich dann mit einem Auflösungsvertrag entlassen.

Als dann Wochen später die Ergebnisse kamen staunte ich nicht schlecht, ich war Innungsbeste geworden und durfte am Kammerwettbewerb teilnehmen. In der Zeit der Vorbereitung war mein Chef so nett wie noch nie. Am Tag des Kammerwettbewerbs hat er darauf bestanden mich zum Wettbewerb zu fahren. Er war bekannt dafür übermüdet und auch teilweise unaufmerksam zu fahren, er hatte schon mehrere Autos geschrottet, weil er in die Leitplanke gefahren ist. Auf dem Weg dorthin musste er noch unbedingt etwas erledigen und wir sind viel, viel ,viel zu spät angekommen. Am Abend, als der Wettbewerb vorbei war (ich war nicht zufriedenstellend Dritte geworden) rief er mich an und fragte, wie es denn gelaufen wäre, als ich dann sagte das ich nicht gewonnen hätte und dass es eben nicht so gut gelaufen wäre, hat er dann mit dem Worten: „Ja, alles klar“ aufgelegt. 

Bei der Freisprechungsfeier ist er dann wie ein aufgeblasener Gockel auf der Bühne gestanden, als verkündet wurde das die diesjährige Innungssiegerin aus seinem Betrieb kommt. 

Ich bin mir sicher, dass wenn ich diese Sachen nicht alle erlebt hätte, heute noch im Handwerk arbeiten würde. Ich hatte Freude an meinem Beruf und war auch ziemlich gut darin.