…erzählte ihm zum ersten Mal von den sexuellen Belästigungen, – die er mir nicht glauben „konnte“…

Ich möchte gerne meine Geschichte mit euch teilen, was meine Ausbildung zur Klavierbauer*in und Stimmer*in in [Norddeutschland] betrifft. Um es schon mal vorweg zu nehmen: ich musste diese nach 6 Monaten der Qual abbrechen, obwohl ich damals keine Alternative für mein Leben wusste. Vielleicht passt sie ja in euer Zine. Ich würde mich freuen, wenn so etwas nicht nochmal passieren muss. Es hat damals mein Leben für einen längeren Zeitraum ganz schön zerstört.

Damals war ich 20 Jahre alt und machte bei zwei Betrieben in [Norddeutschland] ein Praktikum. Beim Ersten hat der Chef so intensiv mit mir geflirtet, dass ich dort auf keinen Fall mehr Stunden verbringen wollte. Im zweiten Betrieb wusste ich von einem Team mit diversen sexuellen Orientierungen, was mich sehr ermutigte und interessierte. Das Praktikum lief auch einwandfrei ab.

Als ich dann offiziell dort in Ausbildung war, fingen ab der zweiten Woche die sexistische Bemerkungen an. Ich wurde auf meine äußerliche Erscheinung reduziert, mir wurden intimer Sexualverkehr von meinem vorgesetzen Gesellen A erzählt, die ich nicht wissen wollte. Mir wurde immer gesagt „Das erzähle ich dir im Vertrauen“ oder „Das darfst du niemandem erzählen, das ist unser Geheimnis…“ und in den Pausen teilte dieser Mensch mit den anderen Mitarbeitenden/Azubi*s pornografische Inhalte auf dem Handy, während Menschen wie ich am gleichen Tisch saßen und sich damit sehr unwohl fühlten. Am Schrank von Geselle A in der Werkstatt hingen Poster von nackten Frauen, die er gerne präsentierte.

Der Azubi X, der mit mir die Ausbildung anfing, durfte heimlich nach den Öffnungszeiten junge nackte Frauen auf den (von mir täglich gewischten und entstaubten) [Flügel] fotografieren. Das alles durften die echten Chefs nicht wissen. Geselle A und Azubi X hatten da einen Deal, den ich nicht genauer wissen wollte. Ich wusste es und erzählte es nicht, so wie ich viele andere Dinge auch nicht erzählte.

Dann fing es an, dass mir vom Gesellen A mitgeteilt wurde, dass ich nicht für den Ort geeignet sei. Ich spielte vielleicht gut Klavier und habe ein Abitur – aber das mache mich nicht zu einer guten Handwerkerin. „Also ich wüsste, welche Schraube du (an mir) festdrehen könntest!“ – solche Hinweise bekam ich regelmäßig, um mich daran zu erinnern, was ich war: Frau.

An einem anderen Tag machte mich die andere FLINTA* dafür fertig, dass ich das Klo mit dem falschen Lappen geputzt habe – sie war so sauer auf mich, als ob ich sie persönlich verletzt hätte. In der Situation, in welcher ich mich befand, habe ich gerade von ihr Unterstützung erhofft, weil ich dachte, dass sie anders sei, mehr wie ich, und den Machtmissbrauch und die ultra hirarchisch-sexistischen Strukturen ablehnte. Stattdessen lehrte sie mich: „Ich musste auch immer die Klos putzen, als ich Azubi war. So läuft das hier“. Ich war so enttäuscht, aber vor allem verletzt.

Ab einer gewissen Zeit wurde mir kotzübel, jeden Tag. Dazu habe ich starke Depressionen bekommen und wusste nicht, was ich machen sollte. Ich habe mich nicht getraut, über die Dinge zu sprechen, die mir im „privaten“ erzählt wurden und welchen Situationen ich mich täglich ausgeliefert fühlte. Der einzige Freund, den ich in dem Betrieb hatte, riet mir aus eigener Erfahrung: „Ich habe mich irgendwann für folgendes Prinzip entschieden: Hier rein, da raus – und so bin ich durch die Ausbildung gekommen.“ Auch er als schwuler Mann war Zielscheibe für die sexuell anzüglichen Sprüche des Gesellen A gewesen.

Doch sowas konnte ich leider nicht, obwohl ich es mir wirklich gewünscht habe. Eines Tages habe ich meinen Mut und „schwachen Körper“ zusammen genommen und die Gruppe (immer noch ohne Chef) angesprochen, explizit den Gesellen A, der mich sexuell belästigte. Ich sagte ihnen, dass ich mich ungerecht behandelt fühle. Und es mir in dem Betrieb nicht gut geht. Ich habe auch hier noch geglaubt, dass ich „unser Geheimnis“ bewahren müsste. Unter anderem sagte ich, dass ich es unfair finde, dass ich mehr putzen muss als der andere Azubi X. Daraufhin wurde mir von einer anderen dort arbeitenden Person (eine Person in dem Betrieb, die ich bis dahin gern mochte, weil sie sich an den degradierenden Dingen nicht beteiligte) ganz gutmütig mitgeteilt, dass das eben so ist, Azubi X ist ein Mann und ich bin eben eine Frau: Er kann besser handwerken und ich kann eben besser andere Sachen machen. Das hat gesessen. Zuguterletzt wurde mir vom Gesellen A mit zuckersüßer Stimme erklärt, dass ich vielleicht nicht am richtigen Ort bin, wenn mir täglich übel wird, und dabei denkt er an mein Wohl.

Niemand hat mich in Schutz genommen oder ist auf meine Seite gekommen. Da wusste ich, dass ich an diesen Ort nicht zurück kehren konnte. Ich traf mich kurz darauf in einem anderen Raum mit meinem Chef und erzählte ihm zum ersten Mal von den sexuellen Belästigungen, – die er mir nicht glauben „konnte“. Dennoch entließ er mich überaus freundschaftlich und wünschte mir alles Gute – sogar mit einem kleinen Buchtipp aus der Kategorie Selbsthilfe. Meine persönlichen Dinge und Kleidung habe ich seit 2014 nicht abgeholt.