Zimmereiausbildung Erfahrungsbericht
Ich sitze in der Berufsschule und höre mir tagtäglich an, warum ich anscheinend weniger wert sein soll – als meine männlichen Mitschüler.
Es ist 2022, irgendwann im Spätherbst, und mein 2. Ausbildungsjahr zur Zimmerin. Ich bin cis-weiblich, weiß und 21 Jahre alt. Ich bin die einzige weibliche Person von 36 Schülern in meiner Berufsschulklasse. Und ich bin ebenfalls eine der 4 einzigen weiblichen Personen des gesamten Landkreises, wobei dazu gesagt werden muss, dass 3 davon aus demselben Betrieb kommen.
In meiner gesamten Ausbildungszeit werde ich nur von Männern unterrichtet. In der Berufsschule, im Betrieb und in der ÜBA gibt es keine einzige weibliche oder FLINTA*-Lehrkraft. Es sind fast alles Ältere, weiße, cis-Männer, die mir das Zimmer beibringen sollen. Den meisten merkte man an, dass sie eindeutig keine Pädagogen sind.
Im Maschinenkurs werde ich von einem Meister unterrichtet, der uns als Eselsbrücken Merksätze beibringt wie „War das Mädchen brav, ist sie konkav, hatte sie Sex, ist sie konvex“. Der gleiche Meister findet es auch sehr lustig, beim Einfädeln des Messers für die Hobelwelle mir folgende Arbeitsanweisung zu geben, um einen Mitschüler zu unterstützen: „Da musst du ihm beim Einfädeln helfen, ist halt wie im echten Leben.“ Ebenso sind Sätze wie dieser: „… da müsst ihr schauen, dass ihr ins richtige Loch trefft, sonst seit ihr am Arsch“, selbstverständlicher Bestandteil seines Unterrichts und an der Tagesordnung. Natürlich, aber nur an die männlichen Personen im Raum gerichtet, also an alle außer mich.
Mein Berufsschulalltag ist geprägt von Konversation um mich herum wie diese: „… aber die hat nen Freund“. „Ist doch egal, beim Fußball steht doch auch jemand im Tor und du schiesst trotzdem, oder?“ Auch wird es für mich schnell normal, ungefragt Überzeugungen wie diese mitgeteilt zu bekommen: „Frauen sind emotionaler als Männer, spätestens wenn man sie schlägt.“ Ebenso wie mitten in einem Gespräch über #Metoo von irgendwo aus dem Klassenzimmer lautstark unterbrochen zu werden, um mir Folgendes anzuhören: „Da sind die Weiber halt selbst Schuld, wenn sie die Beine breit machen.“ Was für ein Frauenbild diesen Aussagen zugrunde liegen, ist offensichtlich.
Bei Sexismus machte die Diskriminierung leider nicht Halt. Einer meiner Klassenkameraden war Schwarz. Er musste über sich ergehen lassen, dass Menschen das N-Wort benutzen und ihn als „Schmutzfink“ bezeichneten. Auch von Lehrkräften gab es regelmäßig rassistische und diskriminierende Aussagen.
So drehte sich das Karussell der Diskriminierung fröhlich weiter. Es ging von Rassismus und Sexismus über Homophobie, Ableismus, Islamfeindlichkeit, Gewichtsdiskriminierung & Bodyshaming, mit Sprüchen und Ansichten wie: „Willst du den Respekt deiner Clique, dann sei so nett und fick die Dicke“ oder „… wenn einer keine Lust hat, dann ist der Schwul“. Und natürlich durften eine kräftige Prise Faschismus und menschenverachtende Ideologie nicht fehlen.
Bei all dem erlebte ich kein einziges Mal, dass einer der anwesenden Lehrer oder Meister etwas gesagt hätte. Viele dieser Kommentare wurden von meinen Mitschülern so laut herausgeschrien, dass sie unmöglich zu überhören waren – auch nicht für die Lehrer und Meister!
Diese mussten sich vielmehr aktiv dafür entscheiden, sie zu ignorieren. Ich könnte mich jetzt in Ausführungen darüber verlieren, was die Aufgabe von Lehrkräften ist – auch und gerade in einem Ausbildungssetting, in dem viele Menschen ihre Ausbildung sehr jung anfangen. Ich könnte abschließend irgendwas von Bildungsauftrag schreiben und wie katastrophal dieser (fast) immer in handwerklichen Ausbildungen verfehlt wird, oder ich könnte es auch einfach lassen.
Baustelle
Mit dem Beginn meiner Ausbildung zur Zimmerin, gewöhne ich mich daran, dass mein Leben leichter ist mit einer männlichen Person an meiner Seite. Nicht, weil ich als Frau handwerklich unfähiger wäre oder dieser Job nur was für „Männer“ ist, sondern weil es anscheinend den Menschen leichter fällt, eine Frau auf der Baustelle zu akzeptieren, wenn ein Mann dabei ist, der auf sie „aufpasst“. Dabei scheint total egal zu sein, ob dieser nun wirklich mehr vom Zimmer versteht oder auch nicht, weil er der Praktikant ist.
Ich lerne schnell, dass eine Zimmerin wohl etwas Besonderes sei oder etwas Unnormales, je nach Weltbild der Menschen. Bald bin ich gewohnt, dass mich (fast) alle Menschen fragen, ob die Arbeit nicht zu schwer für mich sei, egal wo ich hinkomme.
Kommentare, die natürlich, im Beisein von mir, an meine Kollegen gerichtet werden, ob sie jetzt auch schon Frauen einstellen würden, werden zur Normalität. Menschen anderer Gewerke oder Bauherren fragen immer erst meine Kollegen, wenn sie etwas brauchen oder wissen wollen und sprechen oft kein einziges Wort mit mir, als ob ich nicht da wäre. Ein Blechner, mit dem mein Ausbildungsbetrieb viel zusammenarbeitet, fragt, während ich daneben stehe, meinen Chef, ob er sich eine Frau zum Putzen angeschafft hätte. Mein Chef ging an die Decke und fragte ihn, was das denn bitte heißen soll.
Solch eine Reaktion von einem Kollegen, geschweige den von einem Chef, ist im Handwerk die totale Ausnahme.
Es ist hier nämlich noch lange NICHT selbstverständlich, dass alle Menschen, egal wo sie herkommen, welche Hautfarbe, Klasse, Religion, Sexualität oder Geschlecht sie haben, respektvoll behandelt werden.
Rückblickend weiß ich nun, dass ich mit meinem Betrieb und meinen Kolleg*innen verdammt großes Glück hatte.
Es ist ein krasses Armutszeugnis für das Handwerk, dass dies die Ausnahme ist und nicht die Regel. Denn leider sieht die Realität noch immer so aus, dass es eine totale Ausnahme ist, wenn man kein weißer, cis-hetero-Typen ist, im Handwerk wie ein (gleichwertiger) Mensch behandelt zu werden.